Was Wissen schafft - Forschendes Entwerfen?

Volker Kleinekort, Cornelia Redecker,  Josef Rott, Sören Schöbel, Doris Zoller
Veröffentlicht in: PLANERIN, SRL Berlin, August 2008

 

Was Wissen schafft - Forschendes Entwerfen?

Oder, kann man durch Entwerfen wissenschaftlich Forschen?

Zur Frage, ob sich architektonisches Entwerfen eignet, über Lösungen für einen Einzelfall hinaus, allgemeingültige wissenschaftliche Erkenntnis zu produzieren besteht innerhalb der Disziplinen Architektur, Landschaftsarchitektur und Urbanistik ein weit verzweigtes, widersprüchliches Meinungsbild. Vereinfacht dargestellt, lassen sich zwei unterschiedliche Extrempositionen ausmachen, zwischen denen sich die Diskussion aufspannt: I. Entwerfen ist eine Kulturtechnik, die unmittelbar auf konkrete Veränderung der Umwelt oder mittelbar, als Idealentwurf, auf die Weiterentwicklung der disziplinären Ideengeschichte zielt. Entwerfen ist immer auf genau eine Situation gerichtet, die nicht mehr den Anforderungen von Nutzern, Planern oder Politikern entspricht und verändert werden soll. II. Im Zuge zunehmender Komplexität steigen die Anforderungen an die disziplinären Spezialisierungen unserer arbeitsteiligen Welt. Spürbare Konsequenz ist die unabsichtliche und absichtliche Abschottung der Disziplinen untereinander aufgrund steigenden Spezialwissens. Zum Verstehen der eigenen Komplexität sind die bisherigen Instrumente und Methoden zu erweitern. Wie kann sich Entwerfen wissenschaftlich qualifizieren? Dieser Frage geht an der TU München das urbanistische Doktorandenkolleg „urbanlandscape“ nach. Das Kolleg traf sich im Mai zu einem Kolloquium mit dem Thema „Forschendes Entwerfen“, in dem Hochschullehrer und Doktorierende aus ihrem jeweiligen Forschungsschwerpunkt miteinander diskutierten. Es ergaben sich vier Diskussionslinien, die hier kurz dargestellt werden um zu weiterer Diskussion anzuregen.

Ist Entwerfen und Reflexion des Entwerfens von einer Person machbar?
Eine Grundhaltung praktizierender Architekten, Landschaftsarchitekten und Urbanisten ist, dass Wissenschaft Entwerfen zwar flankiert, dass aber Entwerfen seine Wirkung erst als gebaute Architektur entfaltet. Der Entwurf von Architektur ist unmittelbar mit der Praxis verbunden und vereint handwerkliche, intellektuelle und intuitive Strategien (Marc Angélil). Intellektuelle Anreicherungen bezieht Entwerfen aus unterschiedlichsten Feldern, wie epocheprägenden Texten, einem journalistischen Diskurs und vor allem aus dem Diskurs über ideelle oder realisierte Projekte. Sucht man danach, wie wissenschaftliches Entwerfen hier ebenfalls aktiviert werden kann, dann stellt sich zuerst die Frage, wie forschendes Entwerfen aufgebaut sein sollte? Zuerst müsste von einer Person ein Entwurf gemacht werden, der im Anschluss von der gleichen Person theoretisch reflektiert wird. Bezieht man sich auf wissenschaftliche Techniken der Kognitionsbiologie, erscheint dies grundsätzlich möglich, erfordert aber vom Entwerfer eine strikte Zuordnung seines Tuns zu den beiden sehr unterschiedlichen Handlungen (Umberto Maturana und Francesco Varela). Zudem bleibt offen, ob wissenschaftliches Entwerfen nicht immer hypothetisch bleibt. Denn wenn erst der unter Zuhilfenahme von einem Entwurf realisierte Raum der wesentliche Beitrag der Disziplin Architektur zur Gestaltung unserer Umwelt ist, dann ist ein Entwurf ein Zwischenstand auf dem Weg zum tatsächlichen Raum. Der in Wissenschaft angestrebte Erkenntnisgewinn könnte sich in der Architektur demnach frühestens mit dem Vorhandensein des Raumes einstellen und nicht bereits als Resultat eines Forschungsvorhabens "herbei entworfen" werden.

Kann Forschendes Entwerfen Teil einer wissenschaftlichen Arbeit sein?
Wenn die Tätigkeit Entwerfen und der daraus resultierende Entwurf Bestandteil einer wissenschaftlichen Arbeit werden sollen, dann ist zu klären, ob, wann und unter welchen Bedingungen Entwerfen Erkenntnis generieren kann - Erkenntnis, die über den einzelnen Fall hinaus Gültigkeit erlangen kann. Auch, wenn aus wissenschaftstheoretischer Sicht jedes Verstehen Entwurfscharakter besitzt (Martin Heidegger, Hans-Georg Gadamer) und nur kreative Schlussmethoden überhaupt Neues entdecken können (Charles Sanders Peirce), so liegen doch zwischen empirischer, hermeneutischer und entwerferischer Forschung grundlegende Unterschiede. Aus empirischer Sicht müssen Wahrheiten zeitlos gültig sein; aus hermeneutischer Sicht entsteht Wahrheit erst durch das Deuten von Vergangenem. Hieraus Entwerfen als Hermeneutik zu verstehen dürfte aber genauso in die Irre führen, wie die Versuche der 1970er Jahre, Entwerfen als empirische Leistung zu definieren. Entwerfer wissen, dass ihre Praxis sowohl hermeneutische als auch empirische Momente enthält - dass aber der eigentliche Kern im Versuch steckt, einen - durchaus von der Allgemeinheit - akzeptierten Möglichkeitsraum abzubilden. Forschende Entwerfer können sich daher nicht auf eine bestehende Theorie oder Technik stützen, sondern gehen tatsächlich das Wagnis ein, Teil eines Theoriebildungsprozesses zu sein. Und sind damit Wissenschaftler im engsten Sinne. Arbeiten im Bereich von Architektur, Landschaftsarchitektur und räumlicher Planung lassen sich in drei Gruppen teilen: die erste diskutiert Werke oder Theorien über Architektur oder Entwerfen, arbeitet aber selbst mit einer herkömmlichen hermeneutischen Methode. Die zweite Gruppe forscht über messbare Dinge im Zusammenhang mit Architektur - das sind technisch-naturwissenschaftliche Arbeiten. Die dritte Gruppe fertigt mit der Arbeit selbst einen Entwurf, als Konzept oder Plan. Obwohl allein sie eine explizit architektonische Methode entwickelt, stellt sie - noch - die kleinste Gruppe. Ziel des Doktorandenkollegs „urbanlandscape“ an der TUM ist es daher insbesondere, diesen Bereich zu stärken. Ansatzpunkte hierfür liegen in vielen Arbeiten. Solche, die produzierten Raum zum Gegenstand haben, müssen zur Analyse dieser komplexen und relativen Strukturvorstellung immer einen Entwurf fertigen. Dasselbe gilt für Arbeiten, die eine politisch-planerische Zielsetzung besitzen. Ein weiterer Ansatzpunkt liegt in der argumentativen Kraft der Bilder vieler Arbeiten in unserem Bereich (die etwas anderes sind als die lineare Rhetorik der Hermeneutik und als die logischen Sätze der Empiriker, nämlich szenische Ganzheiten).

Erkenntnisgewinn durch Bild gebende Verfahren?
Was bedeuten unterschiedliche Formen von Darstellung und Visualisierung für wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn in der Urbanistik? Wie subjektiv ist bereits eine Grundlagenkarte? Wie wird aus einer Karte ein Entwurfs- Plan?
Unter diesen Fragen bezieht sich eine weitere Themenrunde des Kolloquiums auf den Aspekt der „Darstellung“. In den Naturwissenschaften beispielsweise werden unterschiedliche Techniken der Bildgebung und Sichtbar- Machung eingesetzt, die sich für eine Verwendung im Forschenden Entwerfen anbieten. Der interessante Grundgedanke dabei ist, dass ein Werkzeug bereits bei seiner Entwicklung verschiedene Reflexionsphasen durchläuft – Wozu brauche ich dieses Werkzeug? Was sind die zur Verfügung stehenden Techniken? Was kann ich abbilden und wie kann ich etwas abbilden? Vor diesem Hintergrund erscheinen verschiedene Methoden und Techniken, wie man sie aus der Astronomie oder der Medizin kennt, auf den für den architektonischen Kontext übertragbar. Jedes Erkennen ist subjektiv. Somit ist auch jede Karte bereits subjektive Wahrnehmung. Die Reflexion über das Abgreifen von Informationen ist eine wesentliche Grundlage für einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Forschenden Entwerfen. Eine bereits angewandte Methode ist die des „Mapping“ (Kevin Lynch et.al.), die es erlaubt, auch flüchtige oder wenig greifbare Informationen und damit Raum bildende Strukturen zu visualisieren. Diese Vorgehensweise kann in der architektonischen Wissenschaft zum interpretativen Verstehen von Raum dienen. Als These bleibt, dass einem Verstehen durch Bildgebung ein entwerferischer Prozess zugrunde liegt.

Entspricht Selbstreflexion der Entwurfspraxis den Ansprüchen wissenschaftlicher Standards?
In der Architektur und Planerdisziplin werden seit je her unterschiedliche methodische Ansätze angewendet, deren Tauglichkeit für allgemeine wissenschaftliche Anforderungen zu diskutieren ist: Es finden sich eine Reihe von publizierten Beispielen, denen  die Frage nach der Relevanz des Begriffs „Prototyp“ zugrunde liegt. „Prototyp“ bezeichnet in diesem Sinne ein nicht weiter veränderbares, also (ab-)geschlossenes Modell, wie es in der Serienfertigung zu finden ist. Ein Beispiel ist die Herangehensweise der Forschungsgruppe Chora (Raoul Bunschouten). Die Forschungsgruppe versucht über „Scenario Games“ neue Planungsstrategien zu entwickeln, die auf der Modellierung und Transformation dynamischer Prozesse in komplexen urbanen Situationen basieren. Ein weiteres Beispiel ist die vergleichende Methodik (Jonatahan Trevor und David Hilbert), die über „ubiquious comparative prototypes“ forschen und in ihrer Arbeit beschreiben wie anwendbares Design gleichzeitiges Forschungsobjekt ist. Eine letzte beispielhafte Zugangsweise basiert auf prozesshaften Designansätzen, die das Projekt an den Anfang des forschenden Entwerfens stellen, anstatt es als Statement zu einem gegebenen gesellschaftlichen Zustand zu verstehen. Hierbei steht weniger das finale Projekt als die oftmals interdisziplinären Parameter im Vordergrund. Eine kurze  Einführung in den amerikanischen Diskurs um die Handlungsfähigkeit von Architekten in der Gegenüberstellung der beiden Begriffe „Projective Architecture“  (erstmals: Sarah Whiting und Robert Somol), und dem Begriff  „critical architecture“ (Michael Hayes)  wurden u.a. Beispiele von Foreign Office Architects sowie morphogenetische Entwurfsmethoden bezüglich ihrer Anwendung des Diagrams vorgestellt. Diese letzten beiden Beiträge stellten entwerfende, bauende Planerinnen und Architekten vor, die über die Entstehung ihrer Entwürfe und die Wirkungsweise des daraus entstandenen Raumes wissenschaftlich reflektieren. Dies zeigt zum einen, dass es in den entwerfenden urbanistischen Disziplinen dringenden Bedarf nach wissenschaftlicher Qualifizierung gibt. Dem durch unterschiedliche Ansätze nachgegangen wird. Zum anderen hat der Diskurs darüber noch nicht zu einer „kritischen Masse“ an wissenschaftlicher Reputation oder dem Aufbau einer eigenen „Schule“ geführt, der von anderen geistes- oder naturwissenschaftlichen Wissenschaften als zitierfähig erachtet werden würde.

Gibt es ein Fazit?
Die kurze Darstellung von unterschiedlichen Thesen und Zugängen, wie auch die Diskussion im Kolloquium zeigten ein heterogenes Meinungsbild zum „Forschenden Entwerfen“. Zweifellos könnte es die Disziplin argumentativ bereichern, sich mit diesem Thema in einer breiten innerdisziplinären Diskussion zu beschäftigen. Dabei sind bereits zwei Diskussionsschauplätze absehbar: Der erste betrifft die begriffliche Bestimmung und Differenzierung von Entwerfen: Wer wissenschaftlich arbeitet, muss sich seine Begriffe präzise zurechtlegen. Von der entwerfenden Urbanistik abgeschlossene Begriffsbestimmungen zu ihrem Entwerfen und dem Entwurf zu verlangen käme dem unrealistischen Ansinnen gleich, von Philosophen eine einzige, gültige Erklärung der Welt einzufordern. So dass im besten Falle einzelne, Fragebezogene Begriffsbestimmungen zu erwarten sind. Der zweite Schauplatz liegt im Kriterienstreit zu Wissenschaftlichkeit und Entwerfen. Der derzeitige allgemeine Argumentationsstand reicht weder für noch gegen ein Votum der Wissenschaftlichkeitsformen von Entwerfen.

Wenn die Urbanistik mit einer Kernkompetenz, wie dem Entwerfen, in einer Gesellschaft zunehmender autonomer Systeme (Niklas Luhmann, Helmut Willke) wahrgenommen und, vereinfacht gesagt, zum Diskurs mit anderen Systemen, wie dem der Wissenschaft oder dem des Rechts oder der Kunst aufgefordert werden möchte, dann muss sie sich mehr mit dem Verstehen der eigenen Komplexität auseinandersetzen. Und dies lässt sich vor allem erreichen durch Forschendes Entwerfen.