"Skizzierte Theorie"
Vortrag im Rahmen des internationalen Symposiums Constructing Knowledge des Instituts für Architekturtheorie der Architektur Fakultät an der RWTH Aachen im November 2009.
Volker Kleinekort und Josef Rott (TU München) zu dem Thema "Do we search or generate architectural knowledge" >
Veröffentlicht in: "Conference Proceedings", RWTH Verlag, Juli 2010
Suchen oder generieren wir Architektonisches Wissen?
Suchen von Wissen impliziert, dass Wissen latent vorhanden sein müsste. Es könnte dann, überspitzt formuliert, „nur“ darum gehen, das latent vorhandene Wissen zu entdecken? Denkt man dies weiter, wäre es hypothetisch möglich, dass irgendwann irgendjemand das absolute Wissen, eine Art Weltformel findet. Ab diesem Zeitpunkt wäre jede weitere Suche überflüssig.
Generieren von Wissen lässt zu, dass Wissen vollkommen induktiv, das meint, aus dem Genius des Architekten heraus entsteht. Sicher ist dies eine Extremposition. Aber gerade die Moderne mit ihrem gespaltenen Verhältnis zur Baugeschichte bestärkt Architektinnen und Architekten in dem induktiven, rein auf sich bezogenen Vorgehen und dem Erfinden des Neuen, des so noch nie da gewesenen.
So verstehen wir den Titel unseres Artikels nicht als Aufforderung, uns für das eine und gegen das Andere zu entscheiden. Es geht auch nicht darum, den alten Streit zwischen Moderne und Postmoderne, oder zwischen dem Platonischen Zugang, mit nur einer vertretbaren Idee der zum Durchbruch verholfen werden muss, oder dem aristotelischen Zugang mit den vielen Möglichkeiten, wieder aufzunehmen.
Das kategorische entweder-oder würden wir gerne ersetzen durch das sowohl-als-auch, wie es etwa durch den Sonderforschungsbereich „Reflexive Modernisierung“ von Ulrich Beck formuliert wurde. Es geht uns um das sinnvolle Zusammenwirken des Suchens, von uns auch Entdeckung genannt, mit dem Generieren, das wir auch Erfindung nennen.
Eine kleine Regel liegt unserem Verständnis zu Grunde: Es könnte der Disziplin in ihrem wissenschaftlichen Renommee weiterhelfen, wenn anstelle der beiden Extreme – dem Sichtbarmachen latent Vorhandenem sowie dem rein intuitiven Produzieren – ein benennbares „Letztvokabular“ als Grundlage des Entwerfens gestellt wird. Letztvokabular meint nach dem Philosophen Richard Rorty das in einem Individuum angesammelte und zum Zeitpunkt der Interpretation einer Sache aktive und angewendete Wissen über Theorien, Meinungen, Werthaltungen. Die Benennbarkeit des Letztvokabulars ist nach Rorty notwendig um eine Argumentation aus einem subjektiven Small-Talk-Bereich in einen nachvollziehbaren diskursfähigen Status zu heben (Rorty 1992). Diesen Artikel sehen wir so beispielsweise als Beitrag, das disziplinäre Letztvokabular sichtbar werden zu lassen. Wichtig ist uns dabei, festzustellen, dass dieses Letztvokabular aber nicht das Bauen ersetzen kann.
Anstelle der Gegenüberstellung von Suchen-Entdecken und Generieren-Erfinden setzen wir das Verb Entwickeln. Entwickeln ist sowohl als etwas entwickeln wie auch im reflexiven Sinn als sich (von selbst) entwickeln denkbar.
Skizzierte Theorie, oder vom Zeichnen zum Bauen.
In diesem Statement möchten wir dem Zeichnen und dem Bauen das Wort reden. Zeichnen sehen wir als visuelle Vorbereitung dessen was dann räumlich umgesetzt, also gebaut werden soll. Gerade die möglichst einfache, reduzierte Form der Zeichnung, die Skizze, die früh in einem Prozess auftaucht, hat die größten Potentiale in sich, der Disziplin in der eigenen theoretischen Entwicklung weiterzuhelfen.
Zugleich möchten wir der anhaltenden Tendenz entgegentreten, in der wir feststellen, dass Entwerfen und Bauen in den allermeisten Fällen synonymisch gesehen werden. Es ist beileibe nicht so, dass das, was Entworfen ist, auch gebaut wird, in der mehrheitlichen Zahl der Fälle ist es nicht so. (Rott 2009). Ein Entwurf muss nicht unbedingt mit dem daraus Gebauten identisch sein – wenn man gesellschaftliche Aushandelungsmechanismen unterschiedlicher Akteure, wie Entwerfer, Bauherren, Politiker, Juristen, die sich auf Augenhöhe begegnen, ernst nimmt. Dennoch braucht das Wissen der Architektur den Diskurs über gebaute Werke ebenso, wie es permanenten Input an z.B. zeichnerischen Ideen braucht.
Spricht man vom Wissen der Architektur, dann stellen sich als erstes die Fragen, nach den verwendeten Begriffsbestimmungen.
1. Was verstehen wir in diesem Zusammenhang unter Architektur? Das Verständnisfeld ist weit und auch die Disziplin selbst hält sich mit schriftlich niedergelegten Begriffsbestimmungen zurück. Sucht man in Lexika, so kommt man auf das Merkmal der bewussten Reflexion über das, was baulich räumlich entsteht. Architektur setzt sich damit vom bloßen Bauen ab, indem eine Idee oder ein Thema räumlich umgesetzt wird.
Es erscheint uns unmöglich, an dieser Stelle eine einheitliche Definition von Architektur niederzulegen. Somit beschränken wir uns auf einen kurzen Umriss des Begriffs, wie wir ihn als Arbeitsbegriff in diesem Statement verwenden: Architektur entsteht dann, wenn über das reine Anordnen und Ordnen von Funktionen, das reine Konstruieren hinaus, räumlicher Ausdruck entsteht. Dieser räumliche Ausdruck muss dabei nicht bei jedem Projekt eine epocheprägende Einzelleistung sein. Es erscheint ausreichend, wenn eine schlüssige intellektuelle Auseinandersetzung mit der Aufgabe erkennbar und nachvollziehbar ist. Dabei ist sowohl die Reflexion der Architekten, als auch die der Betrachter und Nutzer von Bedeutung. Und diese Reflexionen stehen zueinander in spezifischer Weise in Bezug. Wir gehen von der Vermutung aus, dass Architektur dadurch etwas sehr Kommunikatives hat. Die Verbindung aus Erzählen und Anhören von Geschichten erscheint uns auch wegen der darin enthaltenen sozialen Wirkung von Architektur geeignet.
Diese Begriffseingrenzung verweist auf zwei Seiten einer Medaille: Es geht um eine interne Sehweise der Disziplin auf ihr eigenes Tun. Und es geht um die Sehweise von Architektur bei den Nutzern, den Laien – mit all den Aspekten von Architekturvermittlung, Perspektivwechsel und weiteren.
2. Was bedeutet Wissen für die Disziplin der Architektur? Architektur verstehen wir als Einzeldisziplin, d.h. es handelt sich im lexikalischen Sinn um ein Teil-Wissensgebiet der Gesellschaft. Dieses Wissen wird durch unterschiedliche Mechanismen produziert, beziehungsweise weiterentwickelt. Entwerfende und bauende Architekten sind die größte Gruppe der Handelnden innerhalb der Disziplin. Des Weiteren entsteht Wissen aus dem Diskurs über gebaute oder ideelle Projekte, über epocheprägende Texte oder aus der Reflektion anderer wissenschaftlicher Erkenntnisse (Forsyth 2007). Wie die Entwicklung neuer Konstruktionsmittel als Einstieg in die bauliche Moderne – im Gegensatz zur literarischen Moderne, die bereits mit der Aufklärung begonnen hat. Ausdrucksmittel dieses disziplinären Wissens sind Skizzen, Zeichnungen, Pläne, Modelle und das Gebaute sowie die textliche Reflexion.
Wie entsteht also dieses Wissen der Architektur? Im Wesentlichen durch Entwerfen!
Dazu scheint eine Annäherung von Marc Angelil hilfreich, der Entwerfen pragmatisch als die Verbindung handwerklicher, intellektueller und intuitiver Praxis beschreibt (Angelil 2004). Handwerkliche Praxis meint darin das Operieren mit Produktionsformen. Intellektuelle Praxis beinhaltet theoretische Untersuchungen einschließlich der Produktion von Theorie und intuitive Praxis bezeichnet das Assoziieren und Träumen. Innerhalb dieses Werkzeug-Mixes möchten wir vor allem die ersten, vagen Skizzieren und das konkrete Umsetzen in den Vordergrund rücken:
Ein Entwurfsprozess arbeitet von Beginn an mit zeichnerischen oder dreidimensionalen Modell- Skizzen. Diese Phase der Ideenentwicklung charakterisiert, dass die Informationen so begrenzt bleiben, dass sie unmittelbar intuitiv, das heißt mit Hilfe der Einsicht verarbeitet werden können. Qualität und Originalität des Entwurfs steigen tendenziell mit abnehmender zu verarbeitender Informationsmenge (Sieverts 1977).
Eine Skizze wird ab dem Moment, an dem sie gemacht ist, als Argument wirksam. Sie ist nicht mehr und nicht weniger als der Versuch einer Darstellung einer Idee. Sie kann Grundlage für ein späteres Werk sein.
Damit erfüllt sie die gleichen Anforderungen, wie eine Theorie, wenn man als Charakteristika einer Theorie gelten lässt, dass es sich um ein vereinfachendes Bild eines Ausschnittes der Realität handelt und als Prognose oder Handlungsempfehlung verstanden werden kann. Skizze und Theorie werden nach unserem Verständnis somit synonym.
Es ist verlockend, sich in diesem (zeichnerischen) Spiel der Wissens-Entwicklung zu verlieren. Spinnt man den Gedanken der ausschließlich abstrakten Wissensproduktion – ohne baulichen Handlungszwang – weiter, führt dies zur Akademisierung der Disziplin Architektur. Daraus entsteht das Paradox, dass die Disziplin Architektur erst durch Aufforderung anderer Akteure ihre Ideen in einen Realisierungsprozess einspeisen kann. Bleibt sie ausschließlich auf der Stufe der Wissensproduktion stehen, ohne zu bauen, wird sie über kurz oder lang nicht mehr aufgefordert.
Das Gebaute entspricht meist nicht den theoretischen Ansprüchen, dennoch ist es ein wesentlicher Bestandteil der Wissensproduktion. Wissen braucht den Diskurs der Werke zueinander, was man in der Kunst als Intertextualität bezeichnet (Luhmann 1995:395). Finden in dem Diskurs der Werke zueinander lediglich theoretische Aspekte Eingang, dann läuft die Disziplin Gefahr der endlosen Selbstreferenz (Sewing 2003:245). Für die iterative Weiterentwicklung des fachinternen Wissens werden die relativ konsequent aus dem Entwurf realisierten Projekte also ebenso benötigt, wie die „komplett aus dem Ruder gelaufenen“ Realisierungen.
Das Bauen ist in der Skizze nicht nur bereits mitgedacht, es ist sozusagen auch ein wesentlicher Antrieb der Entwerfenden. Die in der Skizze implizierte Vorwegnahme zukünftiger Räume ist zwar wegen ihrer Unbestimmtheit, was ein wesentliches Charakteristikum einer Skizze ist, unrealisierbar - Und dennoch gehören Skizze und Gebautes zusammen, da es eine unerklärbare Faszination ausübt, physisch durch seine eigenen Gedankenwelten zu gehen. Diese Faszination wirkt auf die Entwerfenden ebenso, wie dies anderen Akteure spüren und sich doch immer wieder von diesem Zauber anstecken lassen.