EINFÜHRUNG
Dass auf dem Cover der Erstausgabe der wegweisenden Schrift »COLLAGE CITY«, von Colin Rowe und Fred Koetter aus dem Jahr 1978, der Schwarzplan der Stadt Wiesbaden zu sehen ist, mag uns aus heutiger Sicht als Zufall erscheinen. Auch andere Städte hätten die These der Stadt als Collage, als Ort der sichtbaren Brüche und Uneinheitlichkeiten belegen können.
Was aber bedeutet Städtebaulehre in Wiesbaden, wenn man dieses theoretische Erbe annimmt? Auf welche Eigenheiten kann sie aufbauen und in welcher Weise kann sie Bestehendes hinterfragen und daraus Neues entwickeln?
Das Lehrgebiet für Städtebau an der Architekturfakultät der Hochschule RheinMain in Wiesbaden wurde zum Winter 2010 neu besetzt. Damit erfolgte auch eine strategische Neuausrichtung des Städtebaudiskurses in der Fakultät für Architektur.
Die zur Positionierung der Inhalte von Prof. Volker Kleinekort gehaltene Antrittsvorlesung mit dem Titel »Vom Objekt zum Kontext« fasste im Herbst 2010 diese Neuausrichtung programmatisch zusammen: Der klassische Urbanismus, als Städtebau der Baumassen und seiner offenen Räume, also eines Städtebaus der Figur-Grund-Beziehungen, kann der Komplexität der aktuellen Stadtentwicklung mit den beiden, nur vermeintlich konträren, Leitbildern der kompakten Stadt nach europäischem Vorbild sowie der Stadtlandschaft der Moderne schon lange nicht mehr gerecht werden.
Die Ergänzung des urbanistischen Werkzeugkoffers um den Landscape Urbanism, die getragen war von den Erfahrungen aus der nordamerikanischen Stadt- entwicklung, sollte hier Abhilfe schaffen. Landscape Urbanism trägt der Tatsache Rechnung, dass dem Phänomen des Sprawl und der gering verdichteten Regionalstadt nur mit für den Städtebau weiterentwickelten Instrumenten aus der Landschaftsgestaltung beizukommen ist.
Eine ähnliche Entwicklung besonderer Konzepte und Instrumente für die Gestaltung der räumlichen Aspekte von Infrastrukturen steht teilweise noch aus.
Nur ein Städtebau, der die drei urbanistischen Blickwinkel integrativ anwendet, kann den Anforderungen an eine zeitgenössische Stadt gerecht werden: Der architektonische Urbanismus gestaltet das räumliche Stadtgefüge, das angemessen gebraucht, bewohnt, angeeignet und damit immer wieder verändert werden kann. Der Landschaftsurbanismus gestaltet den Freiraum im Sinne einer Qualifizierung disparater Landschaften mit einprägsamen räumlichen, nutzungsspezifischen und auch ökologischen Qualitäten. Und der Infrastruktururbanismus gestaltet das Raumgefüge der Infrastrukturen, die die Versorgung und Mobilität der zeitgenössischen Stadt gewährleisten. Im Vordergrund steht dabei der Aspekt der räumlichen Qualität dieser Infrastrukturen und ihres Umfeldes, als Räume der Bewegung und des Transports mit verschiedenen Geschwindigkeiten und als raumwirksame Bauwerke unserer Stadtgestalt.
Dieses integrative Verständnis von Stadt ist eine zeitgenössische Interpretation des eingangs erwähnten Collagebegriffs. – Ein Bild von Stadt, welches den Versuch unternimmt, nicht in einzelne Leitbilder zu zerfallen, sondern das als Stadt anzuerkennen, was wir als Gesellschaft in dem kontinuierlichen Streben um unseren zentralen Lebensraum in den letzten Jahrzehnten erdacht und erbaut haben.
Dieser Gedanke schließt an die aktuelle Debatte um den Städtebau an, welche mit der sogenannten »Kölner Erklärung« entstanden ist. Dieses Positionspapier kritisiert die Städtebauausbildung an den Hochschulen und fordert einen gemeinsamen Wertekanon dessen, was zumeist mit europäischer Stadt umschrieben wird – das Einmaleins aus Räumen in Kontinuität zur Stadt der Vormoderne. Das dort mitschwingende kategorische entweder/oder wird in der Lehre in Wiesbaden ersetzt durch das sowohl/als auch, wie es etwa durch den Sonderforschungsbereich »Reflexive Modernisierung« formuliert wurde.
(Auszug aus der Einleitung)